„Recherche darf kein Wut-Journalismus sein“

Leyendecker„Recherche klärt auf und kämpft gegen Vorurteile und Autoritätsdenken an“, sagte Hans Leyendecker bei der Eröffnung des zweiten Schweizer Recherchetags am MAZ. Leider werde jedoch viel mehr über diese Art der Aufklärung geredet, als sie praktiziert werde, kritisierte der Leiter der investigativen Recherche der Süddeutschen Zeitung.

Die Kritik illustrierte Leyendecker mit der Geschichte des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff, die ein riesiges Medienecho auslöste. Die Staatsanwaltschaft stützte ihre Ermittlungen auf diese Berichte – die oftmals blosse Vermutungen enthielten. Von 34 Anklagepunkten sei schliesslich noch ein einziger, schwacher, geblieben.

Das zeige auch: Viele Journalisten betrieben Recherche zum Selbstzweck. „Sie wollen gross rauskommen, Helden sein.“ Grenzen gingen dabei gerne mal vergessen. „Aufmerksamkeit ist zur neuen Leitwährung im Journalismus geworden“, stellte Leyendecker fest.

Leidenschaft und Passion als Rat für Jungjournalisten

Zwar entstünden überall neue Investigativ-Abteilungen, trotzdem gebe es noch immer zu wenig gute Recherche.

Manch einer halte es für grosse Recherche, wenn er die Nummer der Pressestelle finde. „Dass sogar die Bild-Zeitung eine Abteilung für investigative Recherche hat, sagt einiges aus“, sagte Leyendecker. Er appellierte an die rund 70 Zuhörenden: Recherche dürfe kein Wut-Journalismus sein, sie müsse immer ergebnisoffen sein. Sämtliche Informationen müssten stets überprüft werden. „Im Büro eines Ressortleiters der ‚Chicago Tribune‘ steht:  ‘If your Mother says she loves you, check it out’.“

Zum Schluss richtete sich Leyendecker an die jungen Journalisten. Ihm sei bewusst, dass Spar- und Zeitdruck auf den Redaktionen Innovationen oft hemmen würden. „Doch lasst euch davon nicht kaputt machen. Mit Leidenschaft und Passion schafft ihr es, immer wieder mal eine Geschichte zu machen, die euch Spass macht.“ Mit Selbstausbeutung habe das nichts zu tun, sagte Leyendecker. „Wer aber unbedingt ein ruhiges Leben führen möchte, sollte nicht Journalist werden.“

[Raphael Rehmann]

Ein weiterer interessanter Text über den Auftritt Leyendeckers am MAZ hat der Kleinreport publiziert.

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