Es habe alles an einem Mittag im August begonnen, sagt Iwan Städler. Das Reporter-Team des Tages-Anzeigers sass in einem Restaurant an der Werdstrasse, als ein Mitglied anregte, man müsse mal Mörgelis wissenschaftlichen Leistungsnachweis recherchieren. Die Aufgabe fasste Städler, der Christoph Mörgeli bereits aus der Politikberichterstattung kannte. „Es lag auf der Hand, dieses Spannungsfeld zwischen den zwei Ämtern Mörgelis auszuloten“, sagt Städler.
Drei Schritte der Recherche
Städler verfolgte bei der Recherche drei Schienen: Erstens durchleuchtete er die Schweizerische Mediendatenbank sowie das Internet und sammelte Literatur. Der Link zum akademischen Bericht 2011 der Uni Zürich führte jedoch ins Leere. Auf Städlers Anfrage antwortete Institutleiter Flurin Condrau: „Ich habe meinen Akademischen Bericht 2011 fristgerecht abgeliefert. Die Universitätsleitung hat den Bericht bisher jedoch nicht freigegeben.“ Städler vermutete, die Uni wollte etwas unter dem Deckel halten. Diesen Eindruck verstärkte die Pressestelle der Uni Zürich, die mauerte.
Die Black-Box
Wie der Tages-Anzeiger schliesslich doch zum Bericht 2011 kam, bleibt eine Black-Box: „Wegen des Quellenschutzes kann ich dazu leider nichts erzählen“, sagt Städler. Fest steht nur: Auf offiziellem Weg hat die Uni den Bericht nicht ausgehändigt.
Zweitens nahm sich Reporter Städler vor, mit allen Schweizer Inhabern eines medizinhistorischen Lehrstuhls sowie Leitern eines medizinhistorischen Museums in Deutschland zu sprechen. Diese Gespräche waren ergiebiger als erwartet: „Anfänglich war die Skepsis zwar gross“, sagt Städler. „Aber ich bot meinen Gesprächspartnern an, ihnen alle direkten und indirekten Zitate vorzulegen, und sicherte ihnen zu, dass sie sie jederzeit zurückziehen könnten. Ein Angebot, das in diesem Fall nützte – das ich Politikern oder Mediensprechern aber nie unterbreiten würde.“ Dann kam’s: Die Fachkollegen sagten, man nehme Christoph Mörgeli im Fachkreis nicht aktiv wahr, ihm fehle die nötige kritische Distanz zur Pharma-Branche und er habe in den letzten zehn Jahren nichts in einer wissenschaftlich anerkannten Zeitschrift publiziert.
Augenschein vor Ort
Drittens wollte sich Städler vor Ort ein Bild machen: Beim Betreten des Museums wurde Städler schnell klar: „Hier wurde seit Jahren nichts mehr gemacht. Zum Thema Aids stand etwa, es gäbe noch keine wirksame Therapie.“ Auch der dem Tages-Anzeiger zugespielte Expertenbericht fand zum Zustand der Objektsammlung klare Worte: „Die in einem Kellerraum gelagerten menschlichen Knochen sind teilweise dem Staub und Ungeziefer ausgesetzt.“ Und weiter: Zwei Wasserleichen seien fragwürdig gelagert.
Nachdem Städler mit rund einem Dutzend Leuten gesprochen hatte, folgte die Konfrontation: „Ich habe Christoph Mörgeli angerufen und ihm mitgeteilt, dass wir einen Artikel zu seiner wissenschaftlichen Leistungsbilanz planten.“ Mörgeli nahm sich für Städler einen Vormittag lang Zeit, um ihn durchs Museum zu führen und ihn in seinem Büro zu empfangen. „Bei der Konfrontation mit den Vorwürfen machte er auf mich einen eher niedergeschlagenen Eindruck“, sagt Städler. Mörgeli habe gewisse Fehler eingeräumt und sich eher wortkarg gezeigt. Zu seiner Gegenoffensive, wie sie Städler eigentlich schon früher erwartet hatte, kam es erst nach dem ersten Artikel im Tages-Anzeiger. Mörgeli sprach von „Brotkorbterror“, von einer „linksgerichteten Schule“ seiner Fachkollegen.
Wenn die Deutungshoheit entgleitet
Das Medieninteresse an Städlers Enthüllung war riesig: “Nie hätte ich gedacht, dass diese Geschichte derart eskalieren würde und Mörgeli innert zwei Wochen seinen Job verliert“, sagt Städler. Die Berichterstattung habe teilweise groteske Züge angenommen. „Es wurde derart zugespitzt, dass die Unwahrheit erzählt wurde. Dabei merkte ich, dass man in einem solchen Fall schnell die Deutungshoheit über seine Geschichte verliert.“
Warum musste Mörgeli gehen?
Für Städler sind die Gründe zu Mörgelis Entlassung vielschichtig. Zum einen sei Mörgeli wohl durch sein politisches Engagement absorbiert gewesen, worunter wahrscheinlich die wissenschaftliche Arbeit gelitten habe. Zum anderen deute vieles auf ein Zerwürfnis am Institut hin. Und die Fachkollegen hätten es nicht geschätzt, dass Christoph Mörgeli, immer wenn es um Medizingeschichte ging, in den Medien war – er, der Aussenseiter der Branche. Die Politik, glaubt Städler, habe die geringste Rolle gespielt. [Laurina Waltersperger]
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