Eine national beachtete Affäre vor der Haustüre: Wie soll ein lokales Medium damit umgehen? Der stellvertretende Chefredaktor der „Neuen Luzerner Zeitung“, Jérôme Martinu, hat am zweiten Schweizer Recherchetag am MAZ in Luzern anhand der Luzerner Polizeikrise aufgezeigt, wie die NLZ-Redaktion die „grosse Kiste“ handhabte – und welche Lehren sie im Nachhinein daraus zog.
Die „NLZ“ berichtete bereits im Juni 2012 erstmals über Sex-Vorwürfe gegen einen leitenden Polizisten. Ins Rollen kam die Polizei-Affäre allerdings erst rund ein Jahr später, als die „Rundschau“ über einen weiteren problematischen Fall berichtete. „Da haben wir relativ rassig gemerkt, dass mehr dahinter steckt“, sagte Martinu. Nun sei klar gewesen, dass es mehrere problematische Fälle gegeben habe, die nicht richtig aufgearbeitet worden seien. „Wir mussten reagieren.“
„Anonymen Mails sollte man misstrauen“
Die „NLZ“ wollte nicht nur dem News-Rad hinterherrennen, sondern auch eigene Geschichten bringen. „Als lokales Medium versuchten wir, auch Hintergründiges zu bringen, und nicht nur einfach immer mehr Details auszugraben“, sagte Martinu. Man dürfe sich auch nicht zu schade sein, eigentlich ganz klare Sachverhalte genauer anzuschauen – in diesem Fall beispielsweise die Beförderungspraxis.
Inputs kamen auch von aussen: In der Redaktion gingen viele – auch anonyme – Hinweise ein. „Anonymen Mails sollte man mal grundsätzlich misstrauen“, warnte Martinu. Er rät, die Quellen nach Wichtigkeit und Glaubwürdigkeit zu kategorisieren, um bei all den Hinweisen nicht den Überblick zu verlieren.
Kernteam einsetzen
„Wichtig war in dieser Zeit, dass wir immer wieder die Köpfe zusammengesteckt haben, um Informationen zusammenzuführen“, sagte Martinu. Im Nachhinein findet er, dass es gut gewesen wäre, zumindest phasenweise ein Zweier-Team einzusetzen, das sich um die Affäre kümmert – und zwar ohne Newsdruck.
Alle Tipps von Martinu im Überblick:
- Viele, viele Gespräche führen, auch im persönlichen Umfeld.
- Wie verlaufen die politischen Linien? Interessenskonflikte wittern.
- Kommentieren! Regt Meinungen an, „provoziert“ Quellen.
- Quellen kategorisieren; Gegencheck; anonymen Mails grundsätzlich misstrauen.
- Nicht in „Blutrausch“ verfallen: Es muss nicht alles raus.
- Teamarbeit! Der journalistische „Lone wolf“ ist ein Mythos.
- Verschiedene Autoren (mit Thema vertraut): auch ein Mittel um Spuren zu verwischen. Aber es braucht eine klare Federführung.
- Konkurrenz: im Wettbewerb die eigene Marke pflegen; aber auch Austausch.
[Maja Briner]
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